Also ich für meinen Teil hatte als Geselle einen Heidenrespekt und auch gehörigen Schiss vor der Meisterprüfung.
In der Rückschau bin ich immer noch erschrocken, welches Niveau dann doch tatsächlich zum Bestehen reicht. Mir ist dabei klar, dass die Bedingungen auch stark von der jeweiligen Meisterschule, dem Prüfungssausschuss, den Lehrern und dem wirtschaftlichen Bedarf an Meistern abhängen. Ich möchte auch gar nicht so sehr ins Detail gehen, um Beteiligte nicht in Misskredit zu bringen.
Einige Aspekte, die in meiner Welt nicht zur Meisterprüfungsvorbereitung gehören:
- Dutzendfache Alkoholexzesse bis zum Abwinken und dementsprechendes Auftreten am nächsten Schultag (wenn noch überhaupt in der Lage dazu). Mit Kater und Restalkohol ran an die Maschinen? Kein Problem!
- Gefühlt jede zweite Frage im Unterricht "Müssen wir das für die Prüfung wissen??"
- Meisterschüler, die kaum Beitel und Klüpfel richtig bedienen können, so dass man als nebenan Arbeitender Angst haben muss, gleich Blut zu sehen.
- Bekanntgabe der Inhalte der theoretischen Prüfung Wochen zuvor (kaum zu glauben, wie man dann da noch durchrasseln kann?)
- Lehrer mahnt Wochen vor den Prüfungen, ja kein unnötiges Risiko im Privatleben einzugehen, um verletzungsfrei zu bleiben. Was wird also gemacht? Es wird Motorrad gefahren und Fallschirm gesprungen, was sonst?
- Ermahnung des Lehrers, ja die vorgegebene Stundenzahl von 120 für das Meisterstück im Stundenzettel stehen zu lassen, auch bei Abweichungen. Die soll dann auch vor dem Prüfungsausschuss verteidigt werden und ein ehrlicher Mensch, der gerne sein Meisterstück und die Entstehung und auch mögliche zeitliche Engpässe (die gab es bei mir genügend) beschreiben möchte, ist zum Lügen gezwungen, damit er sich keine Maluspunkte einhandelt. Ein fachliches Gespräch ist somit stark eingeschränkt und nur unter Zwängen möglich.
- Teils saumäßige Ausführungen der Meisterstücke
- Beginn der Fertigung des Meisterstückes schon Wochen vor offiziellem Beginn
- Krankmelden während der Bauphase um noch ein paar Tage herauszuschinden
- Fortwährendes respektloses Verhalten gegenüber den Lehrenden, ständiges Stören und Quatschen wie in einer pubertierenden 9. Klasse.
Ich bin froh um die Erfahrungen und das Wissen, was ich gewonnen habe. Aber leider wurde meine vorhergehende Skepsis gegenüber diesem Titel bestätigt. In erster Linie sehe ich ihn gerade nur als Weiterbildungsnachweis, und bei Weitem nicht als kein Garant für meisterliches Verhalten und Können. Deshalb wundere ich mich auch gar nicht über den Meistertitel des Jonas Winkler, inklusive der Qualität seines Meisterstücks. Ich möchte ihn auch gar nicht herabwürdigen, da gibt es andere, die es sich viel mehr verdient hätten.
Eher sollten wir uns fragen, ob etwas mit unserem Ausbildungsniveau nicht ganz richtig ist. Oder auch, ob es noch angemessen ist, "Meister" mit "meisterhaft" oder "meisterlich" sofort gedanklich zu verknüpfen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine bestandene Meisterprüfung macht aus einem Gesellen nicht zwangsläufig einen Meister.
Ich hoffe so sehr, dass meine Erlebnisse alle nur dem unglücklichen Zufall geschuldet waren und dass auf anderen Schulen andere Verhältnisse herrschen. Aber ein dunkles Gefühl beschleicht mich, dass es woanders nur ähnlich sein kann.