Ich hab mir die Fotos nochmal in Ruhe angesehen und gehe mal etwas ins Detail:
Das ganze Möbel ist ganz sicher ein sog. Pasticcio, als ein Neu-Um-Ausbau unter Verwendung älterer Teile von ganz anderen Möbeln, das ist ganz klar ersichtlich.
Auf Foto 3 sieht man rechts unter der falschen Bosse aus Buche einen länglichen Flicken aus hellerem Holz eingesetzt, wahrscheinlich kaschiert dieser einen versehentlich durchgestemmten Zapfen von der rechten Seitenwand des Schranks.
Auch sind alle Dübellöcher wie die 2 über dem Buchenteil exakt rund, während alte Dübellöcher bis ins 19. Jhdt. immer duch das Eintreiben eines durch das Spalten hergestellten eckigen Dübels auch eckig werden. Der Bastler hat ebenfalls vergessen, den Dübel diekt über dem Buchenteil links dunkel zu beizen, während der Dübel im Gesims farblich schon passt.
Auch der in Kerbschnitttechnik obere horizontale geschnitzte Fries neben dem Buchenteil ist ganz sicher nachträglich so beschnitzt worden, um das Bild ein wenig aufzumotzen, die Arbeit ist sehr primitiv gemacht.
Das Gesims wurde durch Heraussägen und -Stemmen von Lücken in ein antik wirkendes Zinnengesims umgebaut, aber die ganzen Ecken und Konturen sind viel zu scharf, als dass sie jahrhunderte der Umgebung und Nutzung ausgesetzt waren.
Zu Foto 4: der gesamte Sockel ist neu, die Konturen auch hier viel zu scharfkantig, überhaupt nicht bestoßen und gar nicht abgenutzt: nur zehn Jahren normaler Nutzung würden hier deutlich sichtbare Spuren hinterlassen haben. Auch völlig unmotiviert aufwendige Schnitzerei ausgerechnet direkt am Boden- sowas gabs früher nicht.
Foto 1 zeigt eine reich in drei Füllungen gegliederte Seitenwand, die drei Füllungen mit je 4 flach eingeschnitzen Blumen in den Zwickeln jeder Füllung, die Farbe der Füllungen lässt ganz klar erkennen, dass diese nicht original zusammengehören und mit dem Rest des Möbels nichts zu tun haben. Noch verräterischer ist aber, dass diese Seitenwand mit so reichem Dekor einer völlig schlichten, gar nicht gegliederten Fronttür zur Seite steht: Sowas gabs gar nicht, immer war die Front als Frontalansicht viel reicher verziert und gestaltet als die Seiten.
Ein Wort zum Schloss, Foto 5 und 6: das Schloss war nie an diesem Möbel angebaut, sondern ist mit seinem Buntbartschlüssel nach 1900 entstanden, es hat das falsche Dornmaß, es ist ein halb eingelassenes Aufschraubschloss, das vierte Loch hat nie eine Schraube geshen, im Holz darunter ist nicht mal ein Loch für eine Schraube gebohrt.
Das Schlüsselloch des originalen Schlosses ist oberhalb des wohl antiken Schlüsselbeschlags mit einem quadratischen Stopfen im Rahmenholz ausgeflickt.
Auf Foto 8 sieht man besonders schön, wie primitiv und schlampig der Fälscher vorgegangen ist; alle Bretter des oberen Bodens sind zwar mit Nut und Feder verbunden, aber kein bisschen gebeizt oder die helle Farbe des neuen Holzes sonstwie angepasst an die Farbe der wohl älteren Bauteile, auch sehe ich Sägespuren von einem Gatter: Neuzeit, niemals antik, einfach nur nachgebaut. Auch die runde Auslaufspur eines Fräsers vermutlich vom Anfräsen der Feder sieht man hinter der vorderen Traverse, auch kann man sehr gut sehen, dass der hintere Stollen komplett neu ist.
Diese guten und scharfen Fotos lassen so viele Details einer unbedarft hergestellten Bastel-Fälschung erkennen, dass ich ganz sicher bin, dass dieses die Arbeit eines eher nicht so begabten Antikhändlers ist, das ganze Möbel ist wahrscheinlich um einen wenig attraktiven einfachen 2-türigen Halbschrank aus dem 17. Jhdt. herumgebaut worden unter wilder Verwendung teils originaler, teils nachgebastelter oder aufgemotzter bzw. nachgeschnitzter Versatzstücke.
Fazit: meine Eingangs gemachte Beurteilung als Möbel des Historismus muss ich insofern widerrufen, es steckt zwar etwas antikes im Kern des Pudels, aber deutlich mehr neuere Zutaten.
Doch wenn Du nicht gerade einen vierstelligen Betrag dafür gezahlt hast, ist das völlig schnuppe:
Da der Schrank dir gefällt (sonst hätteste ihn sicher nicht gekauft), erfreue dich an seinem Anblick, denn der Schrank ist sicher dekorativ anzusehen, und gut isses!