Stilbestimmung alter Hocker

Anja66

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Hallo,
ich hoffe Ihr könnt mir weiterhelfen, bei meiner Familie steht dieser Hocker seit mindestens 50 Jahren herum. Mein Vater hat behauptet der wäre "echt", ich weiß aber nicht "echt was" er damit meinte und kann auch nicht mehr fragen.
Weil ich nicht weiß, aus welcher Zeit/Stil er ist, weiß ich auch nicht, wie er wohl ausgesehen hat (gut aussehen würde).

Die helle (heute creme mit Grün/Türkisstich) Farbe ist schon an vielen Stellen abgesprungen, darum habe ich angefangen sie ganz zu entfernen und finde darunter eine goldfarbene Schicht - ein aufgemaltes Metallpulver, darunter eine weiße Kreide(?)schicht.

Der Rahmen vom Sitz war in der hellen Farbe gestrichen, aber ohne die Metallfarbe und die Kreideschicht darunter.
Die Oberfläche des Rahmens ist so anders, das ich auch schon überlegt habe, ob die beiden Teile überhaupt ursprünglich zusammen gehören.

In dem Rahmen sind Löcher für ein Geflecht als Sitzfläche, wobei mich irritiert, das die Löcher so unregelmäßig stehen.

(Eigentlich habe ich schon vor längerem einen Polsterbezug für diesen Hocker gestickt, aber nachdem mir kürzlich ein 100+Jahre alter Thonetstuhl zugelaufen ist, bei dem ich das Geflecht erneuern will, überlege ich den Hocker auch in den alten Zustand zu versetzen. :emoji_wink: )
Die Bilder zeigen:
- den Hocker von der Seite
- von oben, Rahmen abgeschliffen (offenbar später eingeklebte Sitzfläche, die gepolstert wurde)
- die Sitzfläche von unten (Geflechtlöcher sichtbar)
- Bein Detail oben (oben freigelegte Metallfarbe)
- Bein Detail unten

Es wäre toll, wenn Ihr mir da weiterhelfen könntet und würdet.

Anja
mit mehr Ambition als Ahnung :emoji_wink:
P1200593.JPG P1200594.JPG P1200595.JPG P1200596.JPG P1200597.JPG
 

Hondo6566

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Stil ist Louis Philippe
Setze die Restaurierungskosten gegenüber dem Wert eines restauriertem Hockers dann wirst du sehen dass er leider recht wenig Wert besitzt - auch wenn die Form ausgesprochen schön aussieht.
Gruß Andreas
 

fledi

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"Metallfarbe auf Kreidegrund" klingt mir nach Blattvergoldung. Glaube aber nicht, das davon noch viel zu retten ist...Trotzdem, schön ist er!
 

Anja66

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Danke schön!

Dass er "nichts wert ist", ist mir grad recht, weil ich dann kein nationales Kulturgut zerstöre, wenn ich weiter dran fummle :emoji_wink:

Und ja, ich finde ihn eben auch sehr schön, aber die Oberfläche ist so kaputt, dass irgendjemand irgendwas dran machen muss. Das bin ich nun eben ich - trallala.

Alles Gute
Anja
 

dascello

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Unser Werner (welaloba) kann da mehr sagen. Aber auch ich gehe von Frankreich und zweite Hälfte 19. Jhdt aus, also zweiter Aufguss von Louis Quinze.
Der Kreidegrund und das „Metallpulver“ lässt auf ehemalige Blattvergoldung auf Poliment schließen.
Das wieder hinzukriegen kann süchtig machen.

Gruß

Michael

der das Vergolden auch noch richtig lernen will
 

Hondo6566

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Hallo Michael,
Louis Quinze könnte auch stimmen, glaube ich aber nicht so daran. Wäre auch 100 Jahre früher Mitte 18. Jahrhundert.
Was meinst du mit zweitem Aufguss?

Gruß Andreas
 

dascello

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Naja, Renaissance - Neorenaissance
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Louis Quinze - Louis Philippe

Rückbesinnung halt.
 

Anja66

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also "geschreddertes" Blattgold ist das nicht, da bin ich mir sicher. falls ich dich da jetzt richtig verstanden habe bzg. Metallpulver ...
Blattgold hätte ich sogar, aber da ich vor habe den Hocker "alltäglich" zu benutzen, werde ich das wohl eher nicht verwenden.
 

Anja66

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So ein güldener Hocker wäre natürlich geil :emoji_wink:

Aber mal technisch, eine Blatt-Vergoldung würde ich als Originalfassung vermuten.
An den exponierten Stellen, z.B. letztes Bild die Kugel am Fuß, ist die "aktuelle" helle Farbe direkt auf dem polierten Holz, ohne die Metallfarbe und den "Kreide"grund dazwischen.
Also sehe ich die Reihenfolge so:
- Original Fassung: poliertes Holz, Geflecht als Sitzfläche (das würde als Original auch zu den Bildern passen, die ich auf die Schnelle im Netz von Louis Philippe Möbel finde)
- zweite Fassung: Kreidegrund und darüber Farbe aus Metallpulver
(oder vielleicht zweite Fassung: weiße Farbe
dritte Fassung: Metallpulverfarbe ?)
- dritte "aktuelle" Fassung: Weiße Farbe mit farbigen (dunkel/grau/grün??) Hervorhebungen der Schnitzdetails. Weil die Farbe direkt auf dem alten Grund aufgetragen wurde, hat die Oberfläche überwiegend Krakeele.

Spannend :emoji_wink:
 

fledi

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Der Kreidegrund kommt normalerweise als eine Art Grundierung unter eine Vergoldung. Deshalb meine Theorie:

Originalzustand: poliertes Holz für die exponierten Stellen, die Details vergoldet.

1. "Restaurierung": die abgeblätterte Vergoldung durch diesen Metalllack ersetzt

2. "Restaurierung": die jetzige Farbe
 

Anja66

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Ok, soogesehen :emoji_wink:

Auf jeden Fall kommt jetzt erstmal die neueste Farbschicht runter, mal sehen, wie er dann aussieht.

Ich werde berichten :emoji_wink:
 

hobbybohrer

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Hallo, vielleicht gibt es in der Gegend ein Museum, das eine Kunstsprechstunde hat. Dort könnte man das Teil mal vorstellen, umrestauriert.
Grüße, Richard
 

Anja66

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eine erste kurze Recherche hat ergeben, dass die nächste in Augsburg ist und die eher keine Möbel machen. Aber ich wollte sowieso mal wieder in das Nationalmuseum, vielleicht haben/wissen die was ... mal gugge

Jedenfalls bin ich ja dank Euch allen schon erheblich weiter :emoji_slight_smile:
 

Anja66

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Update:
Von wegen Kreidegrund. Unter der Metallfarbe ist weiße Öl?farbe - jedenfalls löst sie sich mit acetonfreiem Nagellackentferner etwas, mit Alkohol und Wasser gar nicht - andere Lösungsmittel habe ich grad nicht im Haus. :emoji_wink:
 

Roterbischof

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Hallo, es gibt bei dir bestimmt auch einen Antiquitäten Händler in der Nähe, der dir das Mal in Augenschein nimmt, so per Ferndiagnose ist immer schwierig, wie die Vorredner schon sagten so um 1890 würden die alten Stile noch einmal kopiert und da irrt man sich schnell mal und ja leider sind bei Antiquitäten die Preise im Keller und besonders bei Stühlen ( vor allem Barock ist Preis technisch tot). Diese Art der Hocker waren oft Pfarrerstuehle in der katholischen Kirche. MFG
 

hobbybohrer

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Hallo, Roterbischof,
kennst Du dich aus mit Chorraumsedilien? Ich Dein Nick mehr als ein "Pharisäer"?
Ich konnte mal zufällig einen leibhaftigen dabei beobachten, wie er spätabends aus dem Palais gerufen, einem Fahrer assistieren musste, der ihm Paneele für einen Raum ablud. War aber ein echter, sicherlich ohne Hobbys, schon gar nicht werkzeugerfahren.
Richard
 

Anja66

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Da ich den Hocker ohnehin nicht verkaufen will, würde sich ein Antiquitätenhändler doch wohl eher "bedanken", wenn ich da nach einer Expertise frage, oder?
Inzwischen weiß ich allerdings, dass das Bayerische Nationalmuseum, einem erzählt, was man so hat. Das werde ich vielleicht in Anspruch nehmen.
Andererseits weiß ich, dass das Möbel schon seit über 50 Jahren in unserem Besitz ist und, dass es damals nicht neu war. Allein daraus geht hervor, dass es wohl wirklich aus dem 19.jhdt stammt. Zusammen mit - ich will es behalten und Möbel aus der Zeit haben wenig finanziellen Wert - ergibt sich, ich restauriere es selber, nach bestem Gewissen (Wissen naja :emoji_wink: ) und erhalte es als Famlienerbstück.

Pfarrerstuhl erklärt natürlich, warum ein Hocker so relativ prunkvoll ist.

---
Weiss mit (Blatt)gold könnte als Neufassung auch hübsch sein - und wäre eine Lösung für die doch eher unansehliche Stuhlplatte, ganz abgesehen davon, dass ich ja noch lange nicht weiß, wie das Holz insgesamt aussieht.

Gute Nacht und schönen Sonntag!
 

Roterbischof

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Hallo, Roterbischof,
kennst Du dich aus mit Chorraumsedilien? Ich Dein Nick mehr als ein "Pharisäer"?
Ich konnte mal zufällig einen leibhaftigen dabei beobachten, wie er spätabends aus dem Palais gerufen, einem Fahrer assistieren musste, der ihm Paneele für einen Raum ablud. War aber ein echter, sicherlich ohne Hobbys, schon gar nicht werkzeugerfahren.
Richard

Hallo, nein ich bin kein Geistlicher. Habe zwar, so glaube ich verstanden, was du mit deiner Google- Autokorrektur geschrieben hast, weiß aber nicht, was du von mir möchtest. MFG
 

welaloba

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Moin, viel Gespräch um einen Hocker. Geflecht für die Sitzfläche ist klar, dafür sind die Löcher. Ich kenne einen Polsterer, von dem könnte der jetzige Zustand sein: Sperrholzplatte rein und mit Verbundschaum einen Polstersitz gebaut und fertig.
Wenn das Holz Nussbaum ist, würde "ICH", wenn es mein Hocker wäre, allen Anstrich abnehmen und eine Schellackmattierung auftragen. Reicht völlig aus. Andere Hölzer würde ich nussfarben beizen und weiter wie vor.
Ist aber nur meins.
Gruß Werner
PS: Das letzte Geflecht (ca. 80 Löcher) das ich machen ließ, kostete 120 Euro.
 

Anja66

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Schellackmattierung fände ich schon schön, aber Stand heute ist die abgeschliffene Sitzfläche noch ziemlich fleckig, mal sehen, wie die Beine werden, derzeit fürchte ich, dass ein Anstrich notwendig sein wird ... mal gugge :emoji_wink:
 

Holzsinn

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Meine Kursteilnehmer tauchen in meinen Restaurierungskursen auch gelegentlich mit solchen Hockern auf. Meine Erfahrung ist, dass wenn etwas mal farbig gestrichen war, es sehr aufwändig ist, es bis aufs rohe Holz runter zu schleifen.
Ich empfehle daher in solchen Fällen, den Untergrund durch Schleifen einzuebnen, d.h. dass nicht alle Farbe weg muss und anschließend mit einem eierschalen farbigen Hartwachsöl, z.B. Dekorwachs von Osmo das Ganze zu streichen. Dann gut trocknen lassen, schleifen, einen zweiten Auftrag drauf, wieder trocknen lassen. Man kann auch gut andere deckende matte Farben wie beispielsweise Kreidefarbe verwenden. Ich persönlich mag aber deren stumpfe Haptik nicht.
Die Profile und Schnitzereien würde ich der Einfachheit halber mit Schlagmetall "vergolden", was kaum von einer echten Polimentvergoldung zu unterscheiden ist. Dazu wird auf einen Haftgrund im Ochsenblut Farbton ( gibt es bei Bösner) das Schlagmetall aufgebracht und angerieben.

viel Erfolg!

Melanie
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Holzsinn

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Und noch ein Nachschlag: Standölfarbe von Kreidezeit kommt den alten Öllacken recht nahe. Das ist eine deckende Farbe auf Leinölbasis, die Restauratoren bei alten Fenstern und Türen, aber auch Möbeln, gerne verwenden. Wäre für so einen Hocker auch sehr gut geeignet.
Und falls bestimmte Bereiche mit Schlagmetall belegt werden sollten, würde ich die bei der farbigen Behandlung aussparen.

Melanie
www.holz-sinn.de
 

Anja66

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Also inzwischen habe ich die oberste Farbschicht und die Metallfarbe fast vollständig entfernt - mechanisch, teilweise unter Zuhilfenahme von Wasser - aber die Farbschicht darunter leistet Widerstand. Allerdings haben mich gerade Rhinoviren im Klammergriff, also wird der Hocker noch etwas auf die nächste Eskalationsstufe warten müssen.
 
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