Guten Morgen
Lt Bildern ist der Sessel noch in einem sehr guten Zustand. Wieweit die Verbindungen stabil sind kann ich nicht beurteilen. Ich will hier kurz erklären wie ich den Sessel "auffrischen" würde. (habe bewusst nicht restaurieren geschrieben)
Alte Lackspritzer gefühlvoll abschaben oder kleinflächig abschleifen. Falls sich dadurch sehr helle Flecken ergeben mit etwas Farbe nachbessern (Entweder mit evtl vorhandener Beize, oder es gibt im Baumarkt Retuschierstift, die sich dazu sehr gut eignen. Gewöhnliche Wasserfarbe geht u. U. auch) Anschließend mit Renuwell oder Baolin behandeln. Die Mittel mittels eines Tuchs ganz dünn auftragen und einwirken lassen und nach kurzer Zeit trockenwischen. Evtl genügt dir dieser Zustand schon, denn das Stück steht erfahrungsgemäß jetzt da wie (beinahe) neu
Eine weitere Möglichkeit wäre jetzt noch den Stuhl mit Schellack zu behandeln. Ein solcher Sessel wurde auch im Original nicht hochglanzpoliert, deshalb genügt es den Schellack dünn mit einem Pinsel aufzutragen. Noch besser wäre es den Schellack aufzuspritzen.
Falls der Stuhl wackelt, wäre es natürlich das Richtige ihn komplett zu zerlegen und neu zu verleimen. Wenn man Purist ist am Besten noch mit Warmleim.
Da ich von dieser Arbeit Leben muss, gehe ich (nach Absprache mit der Kundschaft) meist so vor:
Von unten, da wo mann es nicht sieht, bohre ich bei den Zapfenverbindungen ein 4 oder 5 mm Loch in Richting des Zapfenlochgrundes bis ich in den Hohlraum stosse. Ich spritze nun PU-Leim (ich höre schon den Aufschrei Aller) in das Loch und schlage einen Dübel nach, so dass der Leim in die Hohlräume gedrückt wird. Der Stuhl wird nun auf eine plane Fläche gestellt und verspannt. Der Dübel wird später abgeschnitten und farblich angepasst.
Dass so wenig liebevoll mit dieser Art von Stühlen vorgehe hat folgenden Grund:
Gründerzeitstühle haben am Antiquitätenmarkt leider keinen Wert. Einen Stuhl wie auf den Bildern, uneingeflochten und in gutem Zustand, bekommt man weit unter 50 Euro. Diese Stühle wurden in so großer Menge hergestellt, dass einfach noch zu viele am Markt sind, und das wird sich auch nicht ändern. Die Einflechtung (Sitz und Lehne) kommt bei diesem Stuhl so auf ca. 130 Euro. Würde ich den Sessel jetzt komplett zerlegen und originalgetreu verleimen ist man schnell auf insgesamt ca. 200 Euro. Und das ist es den meisten Kundschaften nicht wert. Ich spreche da immer ganz offen mit den Kundschaften und erkläre ihnen das für und wieder. Die Kundschaft will meist einen schönen Stuhl auf dem man auch Sitzen kann. Ob das "Innenleben" jetzt wirklich originalgetreu ist oder ob man die Todsünde begeht und einen "teuflischen" neumodernen Kleber verwendet, ist den Leuten egal.
Wie gesagt, ich gehe bei Gründerzeitstühlen so vor. Jugendstil, Biedermeier, Barock, oder andere, haben ein ganz anderen Stellenwert und verlangen andere Behandlung.
lg
gerhard