Stühle mit gebogener Lehne

Fatso Katz

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Vor 2,5 Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt 4 Stühle für uns zu bauen. Hätte ich das mal lieber gelassen. Spaß hat es trotzdem gemacht :emoji_slight_smile:
Vor zwei Jahren hatte ich das erste Problem mit dem Holzbiegen gelöst (und hier vorgestellt). Viel Zeit für die Werkstatt habe ich nicht. Das größte Problem liegt wohl darin, dass ich in Nürnberg wohne und meine Werkstatt im Elternhaus in Würzburg ist. Das zweitgrößte Problem ist nun fast zwei Jahre alt und ca. 90 cm groß...

Nach weiteren zwei Jahren habe ich gestern endlich den ersten Stuhl fertig bekommen (bei den übrigen drei Stühlen muss ich noch die Lehne anleimen, putzen und ölen). Holz biegen läuft mittlerweile fast schon routiniert ab. Ansonsten habe ich mir in der Zwischenzeit für alles mögliche eine Vorrichtung gebaut, Probleme gelöst, fast verzweifelt und trotzdem immer geduldig weiter gemacht, Schablonen gemacht, diese noch und nöcher angepasst, Prototypen gebaut... Teilweise waren Wochenenden ohne Fortschritt dabei, aber auch die sind fürs Fortschreiten wichtig gewesen.

Aus der Beobachtung, dass mehr Bilder angesehen werden, statt Text gelesen, versuche ich mich kurz zu fassen. Auf Fragen der interessierten Leser gehe ich gerne ein.

Prototypen
Habe ich einige angefertigt. Zum einen, um zu testen, ob Maschinen und Vorrichtungen funktionieren, zum anderen, weil ein Stuhl natürlich nicht nur schön, sondern insbesondere Bequem sein muss. Ist die Rückenlehne ein paar cm zu niedrig, will schon niemand mehr darauf sitzen.

Rückenlehne
  • Aus einem Stück gebogen
  • Fällt nach vorne hin ab, damit sie auch als Armlehne dient
  • im Rückenbereich abgeschrägt
  • Zapfenlöcher habe ich in zwei Durchmessern gebohrt, weil das Zapfenloch der mittigen Strebe so schräg eingebohrt wird, dass es sonst nur wenige Millimeter tief hätte sein können. Einmal habe ich trotzdem versehentlich zu tief gebohrt. Werkstück im A..., also neu...
  • Die Zapfenlöcher haben alle einen individuellen Winkel, weil es zwei Winkel zwischen Sitzfläche und Rückenlehne gibt. Der Erste ist der vertikale Winkel mit dem sich der Rücken dann anlehnt (bei mir 105 °). Der Zweite ist der horizontale Winkel, mit dem die Räckenlehne abfällt und zur Armlehne wird. Um zu umgehen, dass ich jeden Winkel individuell ausrechnen und einstellen muss, habe ich den einen an der Radialbohrmaschine eingestellt und den anderen über die gekippte Halteschablone.
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Sitzfläche
  • Die Sitzfläche war an sich eines der Teile, die sich am einfachsten fertigen ließen, als alle Maße und Winkel feststanden. Aber genau diese Maße und Winkel waren enorm viel Arbeit. Die wichtigste Schablone ist für die Sitzfläche.
  • Die Kontur habe ich mit einer Schablone und Bündigfräser gefräst. Direkt beim ersten Durchgang habe ich vergessen die Höhenverstellung der Fräse zu klemmen und habe mir direkt die Konturschablone zerstört. Das Werkstück ließ sich gerade noch retten.
  • Die Kanten sind außen mit zwei 30 ° Fasen versehen. Ich wollte sie erst (wie das die Stuhlbauer eben so machen) mit Zugmesser und Schweifhobel anbringen, war dann aber zu ungeduldig und habe sie dann gefräst. Mit der großen Grundplatte, zwei Anschlägen und dem Hilfsbogen ging das ziemlich einfach. Der Hilfsbogen war nötig, damit die Oberfräse immer senkrecht zur Tangente geführt wird. Im vorderen Bereich, wo die Kontur gerade ist, habe ich diesen Hilfsbogen weggelassen und die Übergänge nachträglich verputzt.
  • Die Zapfen der Stuhlbeine sollten erst unsichtbar bleiben, weil mich dann aber doch noch für eine Sitzmulde entschieden habe, habe ich die Zapfenlöcher doch noch durchgebohrt. Die Sitzfläche war zu dünn für Sitzmulde und nicht durchgehende Zapfen.
  • Die Sitzmulde ist ca. 10 mm tief. Nach vorne läuft sie langsam auf null aus. Ich habe mir zur Orientierung Löcher an den Rand der tiefsten Stelle gebohrt und mich dann mit der Raspelscheibe auf dem Winkelschleifer hingearbeitet. Weiter ging es dann mit Fächerscheibe, kleinem Handhobel mit doppelt konvexer Sohle und Excenterschleifer mit weicher Auflage.
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Fatso Katz

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Beine und Streben
  • Weil ich nicht drechseln kann, habe ich mir mit der billigsten Drechselbank (hätte ich mal eine bessere genommen...), Linearführungen und Fräse eine Kopierfräseinrichtung gebaut. Ein erster Versuch komplett aus Holz (statt der Linearführungen) war nicht zu gebrauchen, weil zu viel Spiel im System war. Die Linearführungen haben dann den entscheidenden Unterschied gemacht. Alleine diese Fräseinrichtung zu bauen hat so einige Wochenenden gekostet. In der Zeit hätte ich auch Drechseln lernen können :emoji_frowning2:
    Ich habe mir extra einen Hohlkehlfräser mit Wendeplatte gekauft, aber der Nutfräser hinterlässt wider der Vermutung ein deutlich besseres Ergebnis.
  • Das Ausgangsmaterial war zu dünn für die Beine, deshalb musste ich zusammenleimen. Ich habe zu dem Zeitpunkt keine stärkere Esche bekommen und wollte nicht noch länger warten.
  • Für jede Kontur gab es eine extra Schablone. In so einer Schablone steckt deutlich mehr Gehirnschmalz drin, als man vermuten möchte...
  • Die Zapfen habe ich über einen fein einstellbaren Endanschlag an der Linearführung angefräst. So konnte ich mich exakt an das gewünschte Maß rantasten.
  • Die Zapfen der Beine habe ich später nochmal verlängern müssen, weil ich mich zwischenzeitlich für durchgehende Zapfen entschieden habe (siehe Sitzfläche). Damit ich mit dem Fräser nicht zu nah ans Spannfutter komme, habe ich eine Scheibe mit genau mittigem Zapfenloch eingespannt. Gegen die Scheibe habe ich dann das Bein eingespannt.
  • Fräsen an sich ging ziemlich schnell, aber dann kam noch schleifen, schleifen, schleifen... und weil man quer zur Maserung schleift, musste ich mich bis 400er Körnung hocharbeiten.
  • Am Ende waren es 16 Beine, 28 Streben für die Rückenlehne und 12 Streben für die Beine. Bei dieser Akkordarbeit verliert man Gehirnzellen...
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Fatso Katz

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Verleimen und letzte Schritte
  • alle Verbindungen habe ich mit Fischleim verleimt. Wegen der langen offenen Zeit und der Reversibilität, wenn ich etwas verbocke.
  • teilweise habe ich die Streben noch im Ofen getrocknet, damit sie an Durchmesser verlieren. Mit dem gleichen Ziel habe ich alle Zapfen mit dem Hammer bearbeitet (sieht man oft bei japanischen Möbelbauern). Beides soll dazu führen, dass das Holz durch Leim und Luftfeuchtigkeit wieder an Durchmesser gewinnt und die Verbindung dann enorm stramm sitzt.
  • Das Verleimen an sich war relativ entspannt. Aber wenn man den Umgang mit Fischleim nicht gewohnt ist, ist das eine ordentliche Sauerei. Er lässt sich aber gut mit Wasser abwischen und sorgt später beim Ölen nicht für Probleme wegen zugeschmierten Poren.
  • Die meisten Verbindungen hielten noch mit feuchtem Leim an Ort und Stelle. Nur die hinterste Strebe, wollte nicht drin bleiben, deshalb Habe ich mit einer Zwinge und Zulage nachgeholfen.
  • Um die Beine aufs richtige Maß abzusägen, habe ich den Stuhl auf eine ebene Oberfläche gestellt und mit Keilen und Wasserwaage ausgerichtet. Dann von oben herab ein Lineal gehängt und daran meine Bleistifthöhe ausgerichtet.
  • Geölt habe ich mit Leinöl.
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Der fertige Stuhl
Mehr Bilder kommen morgen. Aktuell ist es zu dunkel für Fotos :emoji_sunglasses:

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Lorenzo

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Super Arbeit! Hammer. Ich freu mich auf noch mehr Bilder! Richtig gut. Ich sollte mich auch mal an Esszimmerstühle ranwagen. Das Sammelsurium aus billigen Ikeadingern ist schon fast bisschen peinlich...:emoji_wink:
 

Maho68

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Hallo, Stuhlbaumeister
Grandios dokumentiert und mit cleverness gearbeitet. RESPEKT :emoji_sunglasses:
Also,wenn das deine ersten Stühle waren ,was mag dann noch kommen.
Ich kenn das mit dem weiten Weg zur Werkstatt ,das kostet viel zeit und Nerven.Da gehört schon starke motivation dazu .
 

Leibhaftiger

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Handwerklich gefällt mir die Arbeit sehr gut, vor allem die cleveren "Alternativmethoden" bei fehlendem Werkzeug. Danke fürs Zeigen!
 

Batucada

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Respekt!

Gruß Daniel
Den Respekt hat er sich wirklich verdient. Der Stuhl steht und fällt mit der Herstellung der gebogenen Rückenlehne. Der Weg dahin war wohl mühevoll. Aber wie man nachlesen kann, hatte er den Glauben an sein Projekt nie verloren. Daher hat er den Respekt über alle Maßen hinaus verdient.

Gruß Hubert
 

Fatso Katz

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Danke für eure Rückmeldung.
Ich habe vorher mal eine Sitzbank ohne Lehne gebaut, das war vom Aufwand (und auch den Gedanken zur Bequemlichkeit) nicht ansatzweise vergleichbar. Das sind also tatsächlich meine ersten Stühle. Und ich hoffe vorerst meine Letzten :emoji_innocent: Wobei ich den Reiz am Stuhlbau schon verstehen kann. Es macht schon Spaß mit solchen filigranen Bauteilen etwas so stabiles und bequemes zu bauen.

Der Stuhl steht und fällt mit der Herstellung der gebogenen Rückenlehne.
Das stimmt. Aber auch nur teilweise. Der größte Mut steckt auf jeden Fall in der gebogenen Rückenlehne. Auf zusammengeleimte dünne Streifen hatte ich keine Lust (ich müsste das mein Leben lang ansehen). Man findet im Internet und in Literatur viele Ansätze, die einem eine Richtung geben, aber ausprobieren, scheitern und ein Gefühl für das Material muss man selbst bekommen. Irgendwann hieß es dann ausprobieren und durch... Und trotz des Dämpfens ist die aufzuwendende Kraft nicht zu unterschätzen. Ohne Seilwinde kann man das mit so einem halben Kreisbogen vergessen.

Trotzdem stecken am Ende doch enorm viele Überlegungen in dieser einen Schablone:
Ein Großteil des Designs steckt alleine da drin. Ich habe bestimmt einen halben Tag damit verbracht, auszuloten in welcher Position und in welchem Winkel die Beine angebracht werden...

Ein großer Helfer waren die Videos von Ishitani auf YouTube. Vor dem Stuhlbau habe ich kaum verstanden, was all diese Linien sein sollen, nun habe ich es verstanden. Auch zeigt er viele Tricks in seinen Videos, die ich abgeguckt habe. Auch bei Chairman Nico auf Instagram habe ich mir entscheidende Tricks abgeguckt.
Alleine kann man das Holzwerken leider nicht lernen (oder zum Glück)
 

Lorenzo

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Super Projekt, großartiges Durchhaltevermögen!
Was sagst du selbst in Bezug auf Design und Gemütlichkeit zu deinen ersten Stühlen? Mein erster Stuhl war ja auch gleichzeitig mein Gesellenstück, und ich würd sagen das ich da einiges gelernt hab.
Unter anderem dass ich den nächsten Stuhl anders bauen werde!
 
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jochen-steini

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Sieht super aus. Lediglich die Länge der Lehne nach vorne ist mir etwas zu lang.
Die Lehne ist ja leicht abfallend. Merkt man beim Sitzen die obere Kante?
 

Fatso Katz

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Sieht super aus. Lediglich die Länge der Lehne nach vorne ist mir etwas zu lang.
Die Lehne ist ja leicht abfallend. Merkt man beim Sitzen die obere Kante?
Optisch ist sie mir auch zu lang. In der Werkstatt habe ich es anders wahrgenommen, aber jetzt wo der Stuhl in der Wohnung steht...
Für die weiteren drei Stühle habe ich noch eine Lehne zum versemmeln, da werde ich sie mal kürzer sägen und schauen wie es aussieht.

Lehne ist im Rückenbereich angeschrägt, entsprechend dem Winkel, in dem sich die ganze Lehne nach hinten neigt (quasi in einer Flucht mit den Streben). Beim Sitzen ist es also sehr angenehm und beim Vorbeilaufen ein Handschmeichler :emoji_slight_smile:
Super Projekt, großartiges Durchhaltevermögen!
Was sagst du selbst in Bezug auf Design und Gemütlichkeit zu deinen ersten Stühlen? Mein erster Stuhl war ja auch gleichzeitig mein Gesellenstück, und ich würd sagen das ich da einiges gelernt hab.
Unter anderem dass ich den nächsten Stuhl anders bauen werde!
Gute Frage! Mit der Gemütlichkeit bin ich äußerst zufrieden. Ich sitze gerne darin und es lässt sich lange darin aushalten. Wenn man die Arme auflegt, dient das Ende als Handschmeichler. Ich hätte dort gerne einen etwas interessanteren Abschluss angebracht, hat mir aber alles nicht gefallen.

Optisch bin ich auch sehr zufrieden. Nicht 100 % (man mag es kaum zugeben) aber besser hätte ich es mit den sonstigen Wünschen nicht vereinen können. Z. B. hätte ich gerne gehabt, dass der Stuhl in der Frontansicht nicht so stelzig wirkt. Das hätte ich geschafft indem die Rückenlehne eher ellipsen- statt halbkreisförmig ist. Aber dann hätte ich wieder ein Problem mit dem Winkel der einzubohrenden Zapfenlöcher gehabt. Keine Ahnung wie ich den dann bestimmt hätte.

Im Nachhinein hätte ich auch lieber auf dickeres Material für die Sitzfläche gewartet. Jetzt sind es 30 mm. 35 - 40 mm wären schon etwas besser gewesen. Stabil ist der Stuhl aber trotzdem. Die H-förmige Verstrebung hat es hier ausgemacht (hätte ich aber auch aus optischen Gründen haben wollen).
 

Ankece

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