Hallo Christian!
Von der zeitlichen Einteilung muss ich mal meine Unterlagen durchforsten. Vielleicht kannst du die Papieretiketten fotografieren. Anhand dieser kann man etwas mehr sagen. Dieser Typ Stuhl wurde in einem sehr langen Zeitraum produziert. Ich würde diesen "Schreibtischfauteuil" so um die Jahrhundertwende einstufen. Wenn aber igendwo der Zusatz "Polen" zu finden ist, dann müssen die Stühle nach dem ersten Weltkrieg gefertigt worden sein.
Wenn du wegen der Oberfläche 5 versch. Restauratoren fragst, wirst du wahrscheinlich ebensoviele antworten bekommen. Leider werden Bugholzsessel aus dieser Zeit sehr oft mit einer zu glänzenden Oberfläche "verbessert". Ich hab bis jetzt noch nicht herausgefunden welche Oberflächenbehandlung im Original statt gefunden hat, wenn ich für Kundschaften diese Stühle auffrische arbeite ich aber meist mit Schellack. Das ist ein Produkt das in dieser Zeit verwendet wurde und deshalb den Charakter der Möbel nicht verändert. Aber nur auf speziellen Kundenwunsch poliere ich die Oberfläche auf hochglanz. Normalerweise verwende ich den Schellack als Ballenmattierung. Dabei wische ich mit einem Ballen oder einem zusammengelgten sauberen Tuch, den Schellack nur kurz auf und lasse ihn trocknen ohne ihn auszupolieren. Diese Prozedur kann man nach kurzer Trockenphase öfters wiederholen, damit auch etwas Substanz zurückbleibt.
Ob man die hellen, abgegriffenen Stellen etwas nachbeizt ist Geschmacksache. Ich perönlich bevorzuge es die Stellen hell zu belassen. Es gibt aber Kundschaften die wollen unbedingt eine farbliche Angleichung. Die muss aber noch vor der Schellackoberfläche geschehen. Dann nehme ich meist Adler Spritzbeize in den Farben 11254 (Rustikal-P43) oder 11255 (Havanna) und trage sie genau so auf wie den Schellack. Einfach mit einem Tuch "aufwischen". Bei bräunlicheren Farben nehme ich auch manchmal die Nr. 11257 (Tabak). Der Stuhl soll aber nicht wieder vollkommen gleichfärbig werden, sondern die abgegriffenen Stellen nur etwas abgetönt. Bei Wasserbeizen habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie zu wenig im Wischverfahren färben. Beizen auf Alkoholbasis sind nicht Ideal, waeil sie durch den Schellackauftrag wieder entfernt werden.
Wir hatten schon des öfteren Thonetstühle vom Museum für angewandte Kunst, das eine große Thonetsammlung besitzt, in unserer Werkstätte zum erneueren der Einflechtung. Diese hab ich mit "meiner" Oberfläche verglichen und war eigentlich immer recht zufrieden damit.
An deiner Stelle würde ich auch nicht versuchen die 4 "Geschwister" auf einen Farbton zu bringen. Erstens wird dies kaum funktionieren, und zweitens haben sie so weit mehr Charakter und zeugen von eigener Geschichte.
Bei dem Sessel auf dem 4ten Bild bin ich mir fast sicher, dass unter dem Sperrholzsitze die Bohrungen für einen geflochtenen Sitz zum Vorschein kommen.
Ich hoffe erstmal ein bisschen weiter geholfen zu haben
schöne Grüße aus einem sonnig, früherbstlichen Wien. Auch ins sonnige Kalifornien.
gerhard