Wert des Gesellenbriefs

Besserwisser

ww-robinie
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Zunächst mal danke für die Beiträge.

Interessant finde ich alle Beiträge, die sich mit dem Thema "Jugend" beschäftigen, denn sie führen alle am Thema vorbei. Da seid ihr dem Irrtum aufgessen, Azubis seien zwangsläufig Jugendliche. Leider macht genau solch eine Pauschalisierung eine solche Diskussion so schwierig und unpräszise. Gefragt war ja nur nach dem Wert des Gesellenbriefs.

Ich habe in meiner Zeit immer wieder Lehrlinge (m/w) durch die Prüfung (mit)begleitet, teils als Meister, teils als Geselle, teils als Freund. Deren Notenergebnis war eigentlich immer entsprechend ihren Fähigkeiten. Bei meinem Themengebenden war das deutlich anders.
Natürlich ist ein Jung-Geselle kein Crack, wie auch. Aber der Gesellenbrief sollte doch ausdrücken, dass die Person eine Basis an Fachwissen besitzt. Ich konnte bei ihm leider tatsächlich kein Fachwissen festellen, was über das eines (mittelmässigen) Jahrespraktikanten hinausging.
Ich hab da jetzt meinen Frieden mit, denn ich hab ihn Gott sei Dank nicht noch ein halbes Jahr am Hacken. Wahrscheinlich hat er einfach viel Glück gehabt und sein extrem lückenhaftes Wissen hat schlicht mit der Prüfung übereingestimmt. Wieso sein Gesellenstück, für mich gerade noch 4-, so gut benotet wurde, steht für mich weiter in den Sternen.
Vielleicht hängt das aber damit zusammen, dass auf saubere Kontruktion heute weniger Wert gelegt wird, bei uns stehen Meisterstücke in der Ausstellung, bei denen mehrfach Lang- und Querholz über nen halben Meter verschraubt wird. Naja, während der Präsentation wirds ja noch bündig sein. Und solche Meister sind natürlich später auch irgendwann im Prüfungsausschuss.

"Ich hab einfach immer ein Problem damit, wenn man es auf ein "der kann keinen Falz von ner Nut unterscheiden, hat also den Brief nicht verdient" runter bricht. Natürlich sollte ein Tischler das wissen und können, aber mit einer Prüfung kann man auch nur einen bestimmten Umfang abfragen, der bei dem Berufsfeld auch rel. groß ist (das altes Problem zwischen den Möbel- und den Bautischlern z.B. ...) "
Ja, da geb ich dir Recht. Das war nur ein -meiner meinung nach- sehr anschauliches Beispiel. Gummihammer=Fäustel, Brecheisen=Stecheisen, 2K-Lack ist Lack, der schongebrauchsfertig ist, Eiche=Kiefer, Kneifzange=Seitenscheider, Holzausgleichfeuchte in Wohnungen=30%, die Liste ist end- und beispiellos. Ich habe in der Zeit nicht ein einziges Feld gefunden, wo eine solide Basis vorhanden war.

"... wer glaubt denn hier, dass ein gerade bestandener Fahrschulprüfling Auto fahren kann? Außer ihm selbst hoffentlich niemand.
Und genau so ist es mit den frischen Gesellen - das dauert, und es sind bisher alle etwas geworden."
Alle "meine" bisherigen Gesellen konnte man aber selbstständig auf Baustellen schicken oder ihnen Werkstattaufgaben zuteilen, die sie selbstständig ausführen konnten, so man um ihre Stärken und Schwächen wusste. Da musste man auch nicht alle 15 Minuten ALLES kontrollieren, um dann die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen.
 

Besserwisser

ww-robinie
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So,

nachdem ich gerade mit einem Mitglied des Prüfungsausschusses telefoniert habe, erhellt sich so einiges für mich.
Ich fasse ihn mal zusammen mit" Wir sind aufgrund der aktuellen Prüfungsordung oft auch selbst sehr unglücklich über die Noten, die die Stücke am Ende bekommen. Und wenn der Prüfling dann in der handprobe noch ein glückliches Händchen hatte, dann kommt da so was raus."
 

Rungholt

Gäste
Ich finde es schon mal sehr angenehm, dass du sehr gemäßigt antwortest (danke dafür).

Ich glaube, bei deinem Beispiel-Lehrling kann das wahrscheinlich keiner außer dir beurteilen. Wenn du über die Zeit die Erfahrung gemacht hast, dass der einfach zu nichts zu gebrauchen ist, wird das langfristig wohl weitaus eindeutiger sein, als ne schriftliche und praktische Prüfung. Da gehört einfach mehr dazu.

Ich denke, dass der "Wert" eines Gesellenbriefs eigentlich eine sehr interessante Frage ist.
Je nach Perspektive glaube ich spielt da alles von "ist körperlich einen festgelegten Zeitraum über anwesend gewesen" bis zu "hat Fachkompetenzen theoretischer und praktischer Natur erlernt und ist fähig sie den Anforderungen entsprechend anzuwenden" mit.
Also im Prinzip die Frage, ob du vor jemandem mit Brief Respekt haben solltest/könntest, oder ob das nur ein Mittel ist, um die "Grundsuppe" aus dem Arbeitsmarkt raus zu sieben.

Ich hab leider einige "Hochs" und viele "Tiefs" gesehen, die sich alterstechnisch durch alle Generationen ziehen. Und da ging es (leider) nicht mal nur um den Gesellenbrief, sondern durchaus auch um so genannte "Meister", die dank ausreichender Bürotätigkeit und Co den Kompetenzbereich "Holz" nach und nach mehr verdrängt haben.
Für mich eröffnet das Prädikat eines Gesellenbriefes inzwischen einfach nur noch die Option auf Fachkompetenz. Eine zwingende Verbindung besteht da aus meiner Sicht leider (!) nicht. Und ich bin bei weitem auch nicht "der Top-Tischler", behaupte aber zu wissen, dass meine Kompetenzen auch ihren Rahmen haben und verweise im Zweifelsfall lieber an Fachkräfte aus der entsprechenden Sparte.

Gründe dafür liegen meiner Meinung nach aber auch an der Aufweichung der beruflichen Kompetenzgrenzen. Zu viele machen heut zu Tage Dinge, die nicht in ihren Kompetenzbereichen liegen. Ob das direkt im Handwerk vorkommt (Steckdosen in Möbel legen, z.B.) oder ob jemand sich ohne Brief zwar nicht "Tischler", aber vielleicht "Montage(fach)kraft" nennen darf, und damit ähnliche Tätigkeiten ausführen darf. Es hat mit Sicherheit für manche einen große Vorteile, bringt aber auch seine eigene Negativ-Seite mit sich.
(Das ist jetzt nur als Beispiel gemeint. Gründe für solche u.ä. Veränderungen gibt es ja meist wie Sand am Meer ^^)

@Besserwisser: bezüglich deines Nachtrages....Schade, aber schön, dass das auch offen kommuniziert wird :emoji_wink:
 

Holz-Christian

ww-robinie
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Moin,

ich hab gerade meinen jetzt ehemaligen Azubi von der Prüfung abgeholt.
Bei seinen Noten ist mir alles entglitten, er hat alle Prüfungsteile mit 3 bestanden, obwohl seine Kentnisse und sein Können extrem bescheiden sind. Vor 4 Wochen hat er mir noch ernsthaft erzählt, Kernholz sein das Holz, was ins Brennholz komme. Oder er wusste nicht, was ne Falz ist, da sagte er immer noch Nut zu. Nur um zwei Beispiele einer nicht endenden Kette zu nennen.


Bin ich verblendet, zu anspruchsvoll, ist das ein Einzelfall oder ist das Niveau der Prüfungen so gesunken?

Hallo, ich sehe das aktuell auch bei unserem noch-Azubi der demnächst auch seine Prüfung hat.
Da fehlen fundamentale Grundkenntnisse die früher schon im BGJ eingetrichtert wurden.

Zu den Prüfungsanforderungen bzw Gesellenstück:
Stumpf aufschlagende Möbelfronten standen zu meiner Zeit überhaupt nicht zur Diskussion.
Da musste zumindest noch ein Staubfalz rein.
Auch sonst ist das Niveau des geforderten Schwierigkeitsgrades ziemlich nach unten gegangen.

Das gleiche ist bei den Meisterprüfungen zu beobachten:
Letztes Jahr hat ein externer Meisteranwärter bei uns sein Meisterstück gefertigt.
Das Stück entsprach in Sachen Umfang und Schwierigkeitsgrad einem Gesellenstück vor 20/30 Jahren.
Ausführungs und Verarbeitungsmäßig hätte man das so bei keinem Kunden abliefern können.
Bestenfalls eine 4.
Er hat nach eigenen Angaben eine 2 bekommen, obwohl das Prüfungsstück mit Sicherheit kaum besser ausgesehen hat.

Es kann langfristig keine Lösung gegen den Fachkräftemangel sein das man alle möglichen Nieten mit gesenkten Anforderungen durch die Prüfungen drückt.

Gruss Christian
 

uli2003

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Die Prüfungsanforderungen wurden in den letzten 30 Jahren nicht verändert. Bei uns sind beispielsweise aufschlagende Fronten schon immer erlaubt, und auch heute die Stücke nicht schlechter als damals. Ich spreche natürlich von den Prüfungen, die ich gesehen und begleitet habe, das mag woanders anders sein.

Ich denke hier werden die Anforderunjen an einen frischen Gesellen einfach zu hoch angesetzt.
Lasst ihm mal noch etwas Zeit, das wird schon.

Grüße
Uli
 

Besserwisser

ww-robinie
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Gewisse Dinge lernt man früh im Leben, wenn man mit Lego spielt, im Wald Baumhäuser baut oder was weiss ich. Das ist sowas wie technische Inteligenz. Da muss man auch kein handwerker sein, kleinste Kinder lernen, dass der Rund Holzklotz nur durch das runde Loch passt.
Wenn ich auf den im Gras liegenden Rechen trete, dann haut der mir ins Gesicht. Aber nur 1x. Wem das mit 31 Jahren 8x passiert, dem fehlt einfach was.
Und wer an seinem Prüfungsstück Kernlöcher für Schrauben mit dem Schraubendurchmesser vorbohrt, und sich wundert, dass die Schrauben nicht halten, dem ist meiner Meinung nach nicht zu helfen.
Ich wünsche dem Typ alles Gute im weiteren Leben, aber warum der ausgerechnet Handwerker werden wollte, erschliesst sich mir nicht.

Nur noch ein letztes Beispiel: Am tag nach der Prüfung hat er die Präsentationswand aus Rohspan für sein Stück zerlegt und weggeworfen. Wir haben seit Jahren zwei Container im Hof stehen: Schwarzer Deckel für Plattenabfälle und Restmüll, roter Deckel für Altpapier. An diesem tag stand ein offener 7 Kubik voll mit Ziegelsteinen aus Abbruch (und nur solchen) von einem Bauprojekt nebenan.
Er schmeisst die Platten ohne zu gucken oder mit der Wimper zu zucken auf den Bauschuttcontainer. Container ist Container, weg ist weg, egal. Er sieht da auch keinen wirklichen Fehler bei sich.
Weg ist weg sollte ich auch denken.
 

Rungholt

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Naja, vielleicht hat er auch nur den Beruf verfehlt.
Ich hatte einen Mitlehrling, der zwar nett, aber leider nicht wirklich fähig war. Der ist erstmal durchgefallen und hat es dann irgendwie mit ach und krach geschafft. Danach ist er Forstwirt geworden, wenn ich das recht mitgeschnitten habe. Ein Beruf, der ihm weitaus mehr Spaß macht und in dem er scheinbar auch besser zurecht kommt :emoji_wink:
 

tiepel

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Niemals.
Gewisse Dinge lernt man früh im Leben, wenn man mit Lego spielt, im Wald Baumhäuser baut oder was weiss ich. Das ist sowas wie technische Inteligenz.
...

Hi,
ich glaube, da ist was Wahres dran.
Das was Du oben beschreibst, lernt der vielleicht zukünftige Handwerker eben nicht an der ollen Playstation....
Gruß Reimund
 

Holz-Christian

ww-robinie
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Und mein "Ex" bekommt ne 3 für ein Stück mit ...........massiven Konstruktionsmängeln (über 65cm Lang- und Querholz verschraubt, instabil), v.

Sorry, aber das war mit Sicherheit schon vorher im Plan ersichtlich.

Und wenn Du ihm den Plan so freigeben hast solltest Du dich mal selbst bei der Nase fassen.
Genauso der Prüfungsausschuss (der den Plan letztendlich genehmigt),müsste hier im Vorfeld eine Planänderung verlangen.
Mit Hinweis auf Konstruktionsmangel.

Wenn sich allerdings der Ausbilder den Plan tatsächlich ansieht landet der erst gar nicht so beim Prüfungsausschuss...:emoji_wink:

Gruss Christian.
 

Besserwisser

ww-robinie
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Christian,

das ist en satte Frechheit.
Ich habs damals nachgehalten, fast NEUN Stunden hab ich dessen Zeichnungen verbessert. Irgendwann reichts auch mal.
Nie mehr werde ich das unter solchen Umständen wieder machen, das nächste Mal kommt da der Stempel drauf und ab dafür. Immerhin macht die Zeichnung rund 20% der Note aus.
 

Mitglied 42582

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Mein Chef ist damals fast ausgerastet als er gesehen hat, dass ich offene Zinken auf der Aussenseite meines Gesellenstückes hatte. War aber schon genehmigt:emoji_grin: Vieleicht war der Azubi auch so forsch?
 

uli2003

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Es ist nicht Aufgabe des Ausbilders und noch weniger der Ausschüsse die Planung zu korrigieren.
Da die Prüfung eine Abfrage des Leistungsstands ist, muss der Azubi das selber machen.
Sonst brauchen wir uns über oben genannte Ergebnisse nicht wundern, wenn schon 20% durch die Zeichnung vorgelegt werden.
Ein paar Tipps werden natürlich gegeben :emoji_slight_smile:
 

Holz-Christian

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Es ist nicht Aufgabe des Ausbilders und noch weniger der Ausschüsse die Planung zu korrigieren.
Da die Prüfung eine Abfrage des Leistungsstands ist, muss der Azubi das selber machen.
Sonst brauchen wir uns über oben genannte Ergebnisse nicht wundern, wenn schon 20% durch die Zeichnung vorgelegt werden.
Ein paar Tipps werden natürlich gegeben :emoji_slight_smile:

Ich meinte auch nicht das man als Ausbilder den Plan korrigieren sollte.
Aber man muss ihn sich ansehen, und bei groben Konstruktionsfehlern gibt's halt so lange keinen Stempel/ Unterschrift bis das beseitigt ist. Da wird nicht Stundenlang rumgemacht.
Wenn dann wie hier auch der Ausschuss sowas durchwinkt dann läuft was schief.

Bei uns ist das so geregelt:
Landet ein Plan mit groben Fehlern beim Prüfungsausschuss wird keine Genehmigung erteilt und eine Frist zur Nachbesserung gesetzt, gleichzeitig gibt es Punktabzug.
Ist aber schon auch peinlich für den Ausbildungsbetrieb wenn dessen Stempel drauf ist.

Gruss Christian
 

uli2003

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Du musst da differenzieren - der Ausschuss prüft den Plan nach Zulassungsvoraussetzungen, nicht nach Fehlern, egal ob technisch oder zeichnerisch. Wo willst du sonst anfangen?
Ihm das Stück noch bauen, alle seine Fehler berichtigen?

Der Azubi macht das Stück sowie die Planung selbst (Beides! gehört laut Prüfungsordnung in die vorgegebene Zeit von hier 100 Std.), und wenn er da einen Bock hinein baut, ist das sein Problem.
Wenn der Betrieb ihn darauf hinweist ist das sicher O.K., das machen wir vom Ausschuss auch beim Fachgespräch - wenn es sich dort nicht schon automatisch so erschließt.

Und wenn der Fehler dann im Gesellenstück auftaucht, beeinflusst das die Note - und das ist richtig so.

Grüße
Uli
 
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