Hallo allerseits,
Fortschritt und handwerkliche Produktion- aus meiner Sicht kein ganz einfaches Thema. Mit vielen Vorteilen und positiven Argumenten, aber auch mit einigen Nachteilen.
Was das Thema hier jetzt betrifft - handwerkliche Fertigung von irgendwas "vs." Zukauf von Industrieprodukten - halte ich das sogar für besonders schwierig.
Weil man als Hersteller einer Kundschaft das Hergestellte ja verkaufen möchte. Jemand muß dem Hersteller also sein Geld dafür geben. Und weil "Geld" bei jedem nur begrenzt im Portemonnaie ist, macht das niemand leichtfertig.
Um beim Beispiel "Dachstuhl" zu bleiben -
Du hast einen Zimmereibetrieb und sollst einen Dachstuhl für ein Einfamilienhaus anbieten, das sich eine junge Familie bauen möchte.
Du kalkulierst den Dachstuhl bei eigenem Abbund ohne Abbundanlage für 17000,-, bei sauberer Handwerksarbeit.
Du weißt, daß wenn bei dem Auftrag nichts schief geht, könntest Du dem Kunden noch 2000,- nachlassen, ohne daß Du hinterher irgendwelche gemeinen Regiezettel schreiben müßtest, damit sich die Arbeit lohnen sollte.
Deiner Firma gegenüber ist eine weitere Zimmerei. Chef ist ein freundlicher Zeitgenosse, Angestellte sind alles nette Leute, solide Handwerker, die ebenfalls saubere Arbeit abliefern.
Diese Zimmerei kann der jungen Familie den gleichen Dachstuhl bei min. genauso sauberer Arbeit für 11000,- anbieten. Und ggf. nochmal 10% nachlassen.
Allerdings fertigt diese Zimmerei den Dachstuhl nicht selber, er kommt dies von einem Abbundzentrum.
Welcher Zimmerei würde diese junge Familie den Auftrag vergeben?
Oder sagen wir mal so - von zehn jungen Familien würden Dir wieviele den Auftrag geben? Und wieviele Deinem Nachbarn?
Jetzt hast Du aber Angestellte (die brauchst Du zwingend), für die Du Dich verantwortlich fühlst und die Du weiter beschäftigen möchtest. Abgesehen davon muß Deine eigene Familie und auch Du irgendwo runterbeißen.
Ach ja, die Bank, von der Du das Geld für Dein Firmengrundstück, die schicken Mafell-Maschinen und den praktischen Seitenstabler (der notwendig für die Handhabung der Hölzer ist, die Du ja für den eigenen Abbund benötigst) hast, besteht auf einer regelmäßigen Rückzahlung des Geldes.
Dein Nachbar hat weder so ein großes Firmengrundstück noch einen Seitenstapler.
Braucht er nicht, weil der Dachstuhl fix-und-foxi verzurrt auf die Baustelle geliefert wird.
Er braucht auch kein Holz bestellen, abladen, abbinden und wieder aufladen. Wenn etwas schief gehen sollte, muß er das zwar auch der Kundschaft vermitteln, wird aber - so es nicht sein eigener Fehler war - kostenlos und im Normalfall schnell Ersatz bekommen. Zusätzlich beim nächsten Auftrag etwas bessere Konditionen.
Welche Möglichkeit hast Du als selbst abbindende Zimmerei?
Du könntest Dich auf ansehbare Zeit aus dem Neubaugeschäft veranschieden.
Das möchtest Du aber nicht, weil es relativ sicher kalkulierbar ist und Du hier aufgrund der Meisterpflicht noch relativ sicher vor diversen Einmann-Firmen oder - ich nenn' es mal - Arbeitnehmerüberlassungen bist.
Du kannst versuchen, Deinen Dachstuhl günstiger zu produzieren.
Hm, mit Deinen Leuten bist Du zufrieden, magst sie sogar und möchtest sie auf jeden Fall halten. Also bleiben Tariflohn, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Und wenn es besonders gut läuft, auch mal bei ein paar Scheinen obendrauf.
Du kannst versuchen, Deine Dachstühle effizienter herzustellen. Jetzt hast Du aber schon clevere Leute, die das ohne weitere Anweisung sehr gut machen. Ohne die Peitsche auszupacken (was Du auch nicht möchtest), wird nicht viel gehen. Und Pfusch oder lieblose Arbeit wirst Du such nicht abliefern.
Du könntest beim Sägewerk und Holzhändler rumjammern. Bringt auf die Gesamtsumme des Dachstuhles auch nicht viel, weil nunmal die Arbeitszeit der Posten ist, der den Ausschlag macht.
Aus Frust und zum Erfahrungsaustausch schaust Du bei einem guten Kollegen vorbei, den Du noch aus der Meisterschule kennst.
Und erzählst von Deinem Problem.
Der kennt das aus eigener Erfahrung. Ihm wäre es genauso ergangen und er habe schon vor längerer Zeit mit dem eigenen Abbund aufgehört. Vorher hätte er zuerst versucht, mehr Aufträge anzunehmen, um so bessere Materialkonditionen zu bekommen. Die zusätzlichen Aufträge habe er versucht, mit Stammbesetzung plus mehr günstgeren Leuten abzuwickeln. Mehrere Aufträge sind in die Hose gegangen, gute und nicht so gute Mitarbeiter sind unzufrieden geworden und gegangen.
Er habe sich vom eigenen Abbund verabschiedet, seitdem läuft es wieder ganz gut. Nur kann er den Lehrlingen die handwerkliche Arbeit nicht mehr ganz so gut zeigen. Aber dafür gibt es ja die Berufschule.
Was ich damit sagen will - die Zeit geht voran, Technik entwickelt sich aber weiter.
Aber alle - egal ob Chef oder Angestellter - müssen weiter Geld verdienen. Man hat im Hyndwerk wenig bis keine Chancen, gegen den Strom zu schwimmen. Jedenfalls gibt es meiner Meinung nicht genügend Nischen für die Masse an Handwerkern. Und vielleicht möchte man auch gar keine Nische besetzen, sondern auch Standard-Arbeit verrichten.
Gruß, Andreas