Man muss nicht immer gleich Verschwörungen oder einen politischen Plan hinter allem vermuten. Manche Dinge sind schlicht komplexer, als man denkt.
Und gerade im Bereich Öl und Gas ist nicht jedem klar, wie kompliziert das Geschäft ist.
Ein Verwandter von mir war lange im Ölgeschäft, bis er es irgendwie leid war, in Ländern zu arbeiten, wo keiner hin will. Aber der kann einiges erzählen - ein paar von vielen Dingen:
- Nicht jede Raffinerie kann einfach jedes Öl verarbeiten - am schlimmsten ist wohl „Venezoela heavy crude“, das können nur ein paar Spezialisten weltweit. Umstellungen auf andere als die gewohnten Ölsorten kosten viel Zeit und Geld.
- Es geht stets um enorme Mengen - Millionen Kubikmeter transportiert man nicht mal schnell mit Tanklastern. Öl, das am falschen Ort ist, hilft nichts.
- Rohöl ist lange unterwegs und wird deshalb weit vorausschauend gehandelt, kurzfristige politische Verwerfungen sind da total ungünstig.
- Eine Raffinerie stellt stets verschiedene Produkte her, und das Verhältnis lässt sich nur wenig ändern. Wenn jetzt ganz Deutschland die Heizöltanks (Diesel) füllt, entsteht dabei eine Riesenmenge Benzin, die man nicht einfach wegzaubern kann. Ähnliches gilt für andere Produkte, die kauft man nur selten privat.
Zum Beispiel sitzt die größte deutsche Raffinerie in Schwedt, an einer Pipeline aus Russland. Billiges Schweröl aus Venezuela hilft denen genau nichts - die Tanker kommen die Oder nicht hoch, und sie könnten es überhaupt nicht verarbeiten.
Früher wurde Benzin aus deutschen Raffinerien in die USA verkauft - im Land der Dieselfahrer entsteht chronisch mehr Benzin als gebraucht wird. Jetzt nehmen die nichts russisches mehr. Wohin damit?
Was machen Transporteure, die einen Supertanker voll russischem Öl auf dem Meer haben? Der kostet jeden Tag ein Vermögen, und keiner weiß, wo er morgen anlegen darf.
Die Nachfrage schwankt auch extrem: Im Moment füllen alle ihre Heizöltanks (=Diesel), Benzin und Flugbenzin geht aber schlecht. Trotzdem hat eine Raffinerie einen fixen Produktmix - wenn die Diesel machen, entsteht auch Benzin.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die Preise so schwanken, wie im Moment. Man wundert sich fast, dass es nicht noch schlimmer ist. Das meiste wird mittelfristig lösbar sein, aber nicht kurzfristig.
Eine Raffinerie kann halt nicht eine Million Tonnen Rohöl der richtigen Sorte per Amazon bestellen, und eine Million Tonnen Benzin kurzfristig per Ebay vertickern.
Falls ihr mal in Texas seid: Fahrt mal von Houston nach Galveston - da bekommt man einen Begriff davon, was Ölindustrie bedeutet, und was hinter der Zapfsäule alles steht. Nicht schön, aber sehr eindrucksvoll.