Hallo,
ich versuche jetzt mal einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen, auch auf die Gefahr, dass ich mich komplett in die Nesseln setze und das Thema weiter eskaliert. Zumindest habe ich meine hoffentlich gutverstandene Absicht zuvor kundgetan.
Für mich handelt es sich in der Summe um eine Art „wissenschaftstheoretisches Problem“:
Da ist auf der einen Seite die Wissenschaft mit ihren schlichten und nachvollziehbaren Regeln, nach denen z.B. Experimente wiederholbar sein müssen, Rahmenbedingungen definiert werden und alles möglichst objektiv messbar sein muss (dabei wohlverstanden, dass es keine absolute Objektivität gibt, wobei ich denke, dass das Thema „Weißleim“ im großen und ganzen nicht besonders vielen subjektiven Einflüssen in der Wissenschaft(!) unterliegt.
Auf der anderen Seite steht das (teilweise tradierte) Wissen der Handwerker. Auch dieses Wissen stammt natürlich aus vielen Experimenten, bei denen aber weder die Rahmenbedingungen vollständig definiert sind noch die absolute Reproduzierbarkeit gegeben ist. In unserem Fall das Wissen der Tischler, die seit Jahrhunderten Möbel, Fenster und Treppen bauen. (Übrigens traditionell alles keine Raketenwissenschaften, nicht zu vergleichen mit dem Bau eines Aquädukts, des Kölner Doms oder des Colosseums.) Dieses Erfahrungswissen ist für den Handwerker auch die einzige Möglichkeit mit den undefinierten Möglichkeiten seiner Werkstatt oder Baustelle umzugehen. Der Handwerker kennt seinen Standard-(Weiß)leim und weiß genau, welche Verleimung eine ausreichende Festigkeit für seinen jeweiligen Zweck bietet. Heutzutage hat zudem die Wissenschaft mit neuen Materialien und Techniken soweit Einzug in unser Handwerk gehalten, dass wir uns unter Einhaltung der Vorgaben aus technischen Merkblättern auch in konstruktive Randbereiche vorwagen können, bei denen noch vor wenigen Jahren niemand gewagt hätte sie so zu bauen. Nur „brauchen“ wir diese Vorgaben nicht für unsere Standardkonstruktionen bei denen wir nach dem Motto „das haben wir schon immer so gemacht“ WISSEN, dass es funktioniert. Dieses „das haben wir schon immer so gemacht“ wird so oft abgewertet, dabei handelt es doch nur um tradiertes Wissen aus letztlich nicht wissenschaftlichen „Experimenten“ - deren Ziel ja auch selten die „Schaffung von Wissen“ war, sondern der Verkauf eines Erzeugnisses.
Jetzt prallen hier diese beiden Ansätze „Wissenschaft“ und „tradiertes Wissen“ an einem idealtypischen Thema aufeinander. Die Verleimung auf Gehrung mit der Klebebandmethode ist vermutlich kaum 30(?) Jahre alt, trotzdem weiß der Handwerker, dass es geht. Die Erzeugnisse funktionieren und sind marktgerecht. Der Weißleim ist schon so lange Standard, dass der Handwerker sehr gut mit ihm vertraut ist. Die technischen Merkblätter sehen das Verfahren nicht vor und es findet sich vermutlich auch in der „Berufsschul- und Meisterschuloffiziellen“ Fachbuchliteratur kein Hinweis darauf. Das ist aber kein Einzelfall. Die meisten handwerklichen Tätigkeiten sind in der wissenschaftlichen Fachliteratur kaum umfangend beschrieben. Das ändert sich in den letzten Jahren durch das Internet wie durch die zunehmende Verbreitung angelsächsischer Fachliteratur. Ein anderes Beispiel: Ich habe vor ein paar Jahren als Student mal etwas über Sanierung und Ertüchtigung von Berliner Kastendoppelfenster schreiben wollen. Damals gab es dazu nichts, das hat sich inzwischen geändert. Das bedeutet aber nicht, dass all die Kniffe der Altgesellen falsch gewesen wären, es hat sie nur niemand notiert.
Zuletzt muss man bei dem ganzen natürlich auch noch die Warte der Hersteller verstehen. Bevor ein Leim verkauft wird gibt es sicherlich umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen und es wird im technischen Merkblatt genau beschrieben wie und unter welchen Bedingungen der Leim einzusetzen ist. Sowohl die wissenschaftlichen Untersuchungen kosten viel Geld als auch die Produkthaftung im Schadenfall. Daher ist deren Interesse jeden Aspekt handwerklichen Erfahrungswissen wissenschaftlich zu überprüfen quasi Null - es sei denn daraus ergäbe sich ein wirklich großer weiterer Absatzmarkt.
Zusammengefasst haben wir es mit zwei unterschiedlichen Systemen des Wissenserwerb zu tun. Ein großer Irrtum wäre, die beiden Systeme in Konkurrenz zu einander zu sehen. Zumindest ich halte beides für komplementäre Systeme. Denn natürlich wäre es Quatsch neue Materialien unter dem Aspekt von „das machen wir schon immer so“ falsch zu verarbeiten, genauso abwegig ist es für mich aber auch, einem mit Klebeband auf Gehrung verleimten Korpus die ausreichende(!) Festigkeit abzusprechen bloß weil der Leimhersteller diese Verarbeitung seines Produktes für nicht fachgerecht hält.
ich versuche jetzt mal einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen, auch auf die Gefahr, dass ich mich komplett in die Nesseln setze und das Thema weiter eskaliert. Zumindest habe ich meine hoffentlich gutverstandene Absicht zuvor kundgetan.
Für mich handelt es sich in der Summe um eine Art „wissenschaftstheoretisches Problem“:
Da ist auf der einen Seite die Wissenschaft mit ihren schlichten und nachvollziehbaren Regeln, nach denen z.B. Experimente wiederholbar sein müssen, Rahmenbedingungen definiert werden und alles möglichst objektiv messbar sein muss (dabei wohlverstanden, dass es keine absolute Objektivität gibt, wobei ich denke, dass das Thema „Weißleim“ im großen und ganzen nicht besonders vielen subjektiven Einflüssen in der Wissenschaft(!) unterliegt.
Auf der anderen Seite steht das (teilweise tradierte) Wissen der Handwerker. Auch dieses Wissen stammt natürlich aus vielen Experimenten, bei denen aber weder die Rahmenbedingungen vollständig definiert sind noch die absolute Reproduzierbarkeit gegeben ist. In unserem Fall das Wissen der Tischler, die seit Jahrhunderten Möbel, Fenster und Treppen bauen. (Übrigens traditionell alles keine Raketenwissenschaften, nicht zu vergleichen mit dem Bau eines Aquädukts, des Kölner Doms oder des Colosseums.) Dieses Erfahrungswissen ist für den Handwerker auch die einzige Möglichkeit mit den undefinierten Möglichkeiten seiner Werkstatt oder Baustelle umzugehen. Der Handwerker kennt seinen Standard-(Weiß)leim und weiß genau, welche Verleimung eine ausreichende Festigkeit für seinen jeweiligen Zweck bietet. Heutzutage hat zudem die Wissenschaft mit neuen Materialien und Techniken soweit Einzug in unser Handwerk gehalten, dass wir uns unter Einhaltung der Vorgaben aus technischen Merkblättern auch in konstruktive Randbereiche vorwagen können, bei denen noch vor wenigen Jahren niemand gewagt hätte sie so zu bauen. Nur „brauchen“ wir diese Vorgaben nicht für unsere Standardkonstruktionen bei denen wir nach dem Motto „das haben wir schon immer so gemacht“ WISSEN, dass es funktioniert. Dieses „das haben wir schon immer so gemacht“ wird so oft abgewertet, dabei handelt es doch nur um tradiertes Wissen aus letztlich nicht wissenschaftlichen „Experimenten“ - deren Ziel ja auch selten die „Schaffung von Wissen“ war, sondern der Verkauf eines Erzeugnisses.
Jetzt prallen hier diese beiden Ansätze „Wissenschaft“ und „tradiertes Wissen“ an einem idealtypischen Thema aufeinander. Die Verleimung auf Gehrung mit der Klebebandmethode ist vermutlich kaum 30(?) Jahre alt, trotzdem weiß der Handwerker, dass es geht. Die Erzeugnisse funktionieren und sind marktgerecht. Der Weißleim ist schon so lange Standard, dass der Handwerker sehr gut mit ihm vertraut ist. Die technischen Merkblätter sehen das Verfahren nicht vor und es findet sich vermutlich auch in der „Berufsschul- und Meisterschuloffiziellen“ Fachbuchliteratur kein Hinweis darauf. Das ist aber kein Einzelfall. Die meisten handwerklichen Tätigkeiten sind in der wissenschaftlichen Fachliteratur kaum umfangend beschrieben. Das ändert sich in den letzten Jahren durch das Internet wie durch die zunehmende Verbreitung angelsächsischer Fachliteratur. Ein anderes Beispiel: Ich habe vor ein paar Jahren als Student mal etwas über Sanierung und Ertüchtigung von Berliner Kastendoppelfenster schreiben wollen. Damals gab es dazu nichts, das hat sich inzwischen geändert. Das bedeutet aber nicht, dass all die Kniffe der Altgesellen falsch gewesen wären, es hat sie nur niemand notiert.
Zuletzt muss man bei dem ganzen natürlich auch noch die Warte der Hersteller verstehen. Bevor ein Leim verkauft wird gibt es sicherlich umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen und es wird im technischen Merkblatt genau beschrieben wie und unter welchen Bedingungen der Leim einzusetzen ist. Sowohl die wissenschaftlichen Untersuchungen kosten viel Geld als auch die Produkthaftung im Schadenfall. Daher ist deren Interesse jeden Aspekt handwerklichen Erfahrungswissen wissenschaftlich zu überprüfen quasi Null - es sei denn daraus ergäbe sich ein wirklich großer weiterer Absatzmarkt.
Zusammengefasst haben wir es mit zwei unterschiedlichen Systemen des Wissenserwerb zu tun. Ein großer Irrtum wäre, die beiden Systeme in Konkurrenz zu einander zu sehen. Zumindest ich halte beides für komplementäre Systeme. Denn natürlich wäre es Quatsch neue Materialien unter dem Aspekt von „das machen wir schon immer so“ falsch zu verarbeiten, genauso abwegig ist es für mich aber auch, einem mit Klebeband auf Gehrung verleimten Korpus die ausreichende(!) Festigkeit abzusprechen bloß weil der Leimhersteller diese Verarbeitung seines Produktes für nicht fachgerecht hält.